Wenn es um Ernährung geht, hört man oft: „Es ist kompliziert.“ Essen hat nicht nur etwas mit unserem Bauchgefühl zu tun, Essen ist ebenso eine Kopfsache. Der Ekel bildet da keine Ausnahme. Über das Mindset hinter dem Ekel sprachen wir mit der Ernährungspsychologin und Autorin Bastienne Neumann.
DISGUSTING FOOD MUSEUM BERLIN: Viele ekeln sich heute vor Fleisch, Milch oder intensiven Küchengerüchen. Stattdessen scheint sich die vegane Lebensweise immer mehr durchzusetzen. Ist der Ekel ein Indikator neuer Naturnähe oder zeigt er an, wie weit wir uns von der Natur entfernt haben?
Bastienne Neumann: Dass wir uns immer häufiger vor Fleisch ekeln, liegt vor allem an einer kollektiven Haltung. Prinzipiell ist eine Abneigung gegenüber frischem, nicht abgelaufenem Fleisch unbegründet, schließlich ist es nahrhaft und kann auch lecker sein. Die Aversion gegenüber Fleisch entsteht vielmehr aus dem allgemeinen Umdenken. Vegan liegt im Trend, deshalb hinterfragen viele die Herkunft des Fleisches sowie das Wohlergehen des Tieres. So bauen wir automatisch eine nähere Bindung zum Tier auf. Ekel bei Esswaren entsteht vor allem dann, wenn etwas besonders vertraut ist oder völlig fremd. Haben wir durch das neuartige Umdenken eine Beziehung zum Tier aufgebaut, steht uns dieses nah, und der Verzehr des Fleisches löst Widerwillen aus – ähnlich wie beim Kannibalismus. Die Entwicklung, dass Menschen sich vor Fleisch ekeln, sobald eine Beziehung zum Tier besteht, ist also völlig normal und natürlich. Dass eine solche Bindung heute auch immer häufiger zu Tieren besteht, die lange Zeit ausschließlich als Nutztiere galten, ist jedoch neu und erscheint deshalb zunächst unnatürlich.
DFM BERLIN: Jeder von uns hat seine Lieblingslebensmittel, was die Ernährungsvielfalt sehr einschränkt. Wie kann man den Widerwillen gegenüber neuen Produkten oder Gerichten überwinden?
Bastienne Neumann: Dass wir unbekannte Lebensmittel meiden, ist ein automatischer Schutzmechanismus, um potenzielle Gefahren zu vermeiden. Möchte man seine Ernährungsvielfalt erweitern, kann es hilfreich sein, bekannte Lebensmittel mit den bislang unbekannten Lebensmitteln zu kombinieren, um so die Hemmschwelle herabzusenken. Außerdem kann es unterstützend sein, sich mit Leuten zu umgeben, die diese fremden Lebensmittel wie selbstverständlich essen. Denn je häufiger wir mit Lebensmitteln konfrontiert werden und diese in unserem Umfeld erleben, desto eher werden sie positiv von uns bewertet – in der Psychologie auch bekannt als „Mere-Exposure-Effekt“.
DFM BERLIN: Auf welchen vermeintlichen Ernährungs- oder Küchenekel würden Sie selbst niemals verzichten wollen?
Bastienne Neumann: Ich als Nordlicht liebe salziges Lakritz, wodurch ich in meiner Studienzeit in Süddeutschland häufig angewiderte Blicke geerntet habe. Verzichten würde ich darauf trotzdem nie. Geschmacksvorlieben und Abneigungen können sich also durchaus auch regional unterscheiden.
Wir danken für das Gespräch!
Die Fragen stellte Dr. Martin A. Völker.
Bastienne Neumann
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