Fünf Minuten Ekel – Interview mit Susanne Wedlich

Foto: © cottonbro / pexels
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Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir ziemlich ekelhaft finden. Der Schleim gehört dazu. Und trotzdem ist er aus unserer Welt und unserem Leben nicht wegzudenken. Mit dem Urschleim fängt alles an, und auch die Astrobiologie widmet sich dem Schleim, um außerirdisches Leben zu erforschen. Die Wissenschaftsautorin Susanne Wedlich hat 2019 ihr famoses „Buch vom Schleim“ vorgestellt. Wunderbar illustriert von Michael Rosenlehner. Wir sprachen mit ihr darüber.

DISGUSTING FOOD MUSEUM BERLIN: Es gibt Dinge, die verbinden sich schon durch ihren Namen mit unserem Gefühl des Ekels. Der Schleim gehört dazu. Warum ist das so?

Susanne Wedlich: Ich vermute, dass dem Schleim-Ekel in unserer hyperhygienischen Welt die natürlichen Gegenspieler abhandengekommen sind. Ekel ist ja eine unheimlich komplexe Emotion, die uns – biologisch gesehen – von Pathogenen und Parasiten fernhalten soll. Die Erreger selbst können wir aber nicht wahrnehmen, also muss der Ekel über Bande spielen und auf mögliche Anzeichen einer Infektion oder Kontamination reagieren, ob das nun eine offene Wunde oder ein anrüchiges Verhalten ist. Ekel kann extrem stark sein, wird oft aber gezügelt. Sex zum Beispiel hängt davon ab, dass wir fremde Körpersekrete bei Bedarf eben doch gut aushalten können. Wir würden auch nicht vor faulendem Essen verhungern. Schleim spielt im modernen Alltag allerdings keine große Rolle mehr. Unser Ekel kann sich also ungebremst austoben – und sogar auf den Begriff anspringen. Das ist sehr schade: Die starke Abwehr verstellt den Blick darauf, wie faszinierend und unverzichtbar biologische Schleime eigentlich sind.

DFM BERLIN: Unser Ekelgefühl hängt stark von persönlichen Befindlichkeiten und kulturellen Umständen ab. Gänsestopfleber schmeckt vielen Leuten, anderen ist sie ein Graus. Lassen sich dem Schleim positive Seiten abgewinnen?

Susanne Wedlich: Schleim lassen sich viele gute Seiten abgewinnen! Ohne ihn gäbe es uns Mehrzeller wohl nicht und könnten wir auch nicht überleben. Schleim hält buchstäblich unseren Organismus zusammen und schirmt ihn ab. Gerade das macht ihn aber faktisch eklig: In unserem Körper fängt er als Infektionsbarriere Erreger ein und ist damit kontaminiert. Außerdem produzieren Mikroben selbst Schleim. Ich rate also nicht vom Schleim-Ekel ab, plädiere aber für ein vernünftiges Maß. Ähnlich wie beim Blut vielleicht, das wir wegen der Infektionsgefahr auch abstoßend finden. Trotzdem können wir seine Funktionen interessant und Vampire attraktiv finden.

DFM BERLIN: In der Küche und auf dem Teller ist das Schleimartige als festere Soße oder sämiger Schaum präsent. Welchen Schleim, welche Schleimvariante mögen Sie am liebsten?

Susanne Wedlich: Ekel ist zum Glück extrem anpassungsfähig. Was ich gerne esse, empfinde ich also nicht (mehr) als „schleimig“, weil dieser Begriff so negativ besetzt ist. Ein gutes Beispiel sind vielleicht Chia-Samen, die in Wasser eine Schleimhülle bilden. Sehr hübsch, aber eben Schleim. Nur ekelt sich niemand davor, ich auch nicht. Das hat vermutlich mit dem Image von Chia-Samen zu tun, die für eine gesunde Ernährung und clean eating stehen. Beim Ekel spielen solche Etiketten tatsächlich eine Rolle. Ich kann aber klar sagen, was ich nicht mag: Die wabbelige Gelatine auf dem Erdbeerkuchen ist wirklich grauenvoll.

Wir danken für das Gespräch!

Die Fragen stellte Dr. Martin A. Völker.

Susanne Wedlich, Judith Schalansky (Hg.)
Illustrationen von Michael Rosenlehner
Das Buch vom Schleim
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2019
gebuden, 287 Seiten
34,00 Euro
ISBN: 978-3-95757-774-0


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